von Robert Icke sehr frei nach «Professor Bernhardi» von Arthur Schnitzler
Dr. Ruth Wolff ist als Ärztin eine Koryphäe. Sie leitet ein auf Alzheimer-Forschung spezialisiertes Institut in einer angesehenen Privatklinik. Bei ihren Kolleg*innen ist sie wegen ihres wenig diplomatischen Auftretens allerdings nicht wirklich beliebt. Als diensthabende Ärztin hat sie es eher zufällig mit dem Fall eines 14-jährigen Mädchens zu tun, für das es nach einem misslungenen Eingriff keine Rettung mehr gibt. Als ein katholischer Priester ihr die Sterbesakramente erteilen will, verweigert die säkulare Jüdin Ruth ihm den Zutritt ins Krankenzimmer. Für Ruth ist dieser Streit eine Bagatelle, zumal sie sich im Recht sieht, doch der Vorfall schlägt rasch hohe Wellen: intern, weil einige Kollegen mit Ruths Verhalten nicht einverstanden sind, und extern, weil die Auseinandersetzung publik und darum eine Online-Petition gegen sie gestartet wird. Die Folge ist, dass erste Sponsoren drohen, ihre finanzielle Unterstützung von Krankenhaus und Institut einzustellen. Auch ihre Kolleg*innen konfrontieren sie mit antisemitischen und frauenfeindlichen Ressentiments. Am Ende sieht sich Ruth einem karriere- und existenzgefährdenden medialen Shitstorm ausgesetzt, in dem sich unterschiedliche religiöse, gesellschaftliche und ethische Positionen, mit Fragen nach Identität, Herkunft und Geschlecht vermischen und unversöhnlich gegenüberstehen.
Autor und Regisseur Robert Icke hat Arthur Schnitzlers Stück «Professor Bernhardi» (1912) kongenial in die Gegenwart übersetzt. Die Londoner «Times» feierte«Die Ärztin» als eine «Operation am offenen Herzen unserer Gegenwart, die immer komplizierter wird, je tiefer man schneidet». Icke spielt virtuos mit den Erwartungen und Erfahrungen der Zuschauer*innen, denn mit jedem Perspektivwechsel gilt es, nicht nur das Geschehen neu zu interpretieren, sondern auch die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen.
Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburg