Graf Öderland
Eine Moritat in zwölf Bildern von Max FrischEine Moritat in zwölf Bildern von Max Frisch
Keine Pause
Trailer
Eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2021
Ein Hauswart, erschlagen – ohne Grund, ohne Motiv, einfach so: Durch den Arbeitsalltag vom Leben entfremdet, greift der Kassierer einer Bank zur Axt und mordet. Diese Tat erschüttert Staatsanwalt Martin nachhaltig. Im Mörder und dessen Tat sieht er sein eigenes Gefangensein in einer bürgerlichen Existenz gespiegelt. Schlagartig nimmt ihn eine Urangst gefangen, die ihn zur Flucht in die mythische Welt eines mysteriösen Alter Ego treibt: in die Welt von Graf Öderland. Als Graf Öderland beginnt Martin mit der Axt in der Hand einen Feldzug gegen den gesellschaftspolitischen Status quo. Innerhalb kürzester Zeit wird er zum Befreiungshelden, hinter dem sich Benachteiligte und Unzufriedene zu einer großen Anhänger*innenschaft formieren. Tief unten in der Kanalisation kommt es zur Revolte gegen die herrschende Elite. Doch am Ende entpuppt sich, was anfangs als gesellschaftlicher Befreiungsschlag erschien, als ein verzweifeltes und brutales Ringen um die eigene innere Freiheit nach dem Motto: «Ich will nicht die Macht! Ich möchte leben!»
Max Frisch bezeichnete «Graf Öderland» als sein liebstes Stück. Vor dem Hintergrund sich neu formierender Protestbewegungen gegen vermeintliche Einschränkungen der persönlichen Freiheit und unpopuläre Entscheidungen seitens der Regierungen lädt sich die Figur des Grafen neu auf. Ist er Befreiungsheld oder machthungriger Despot ohne jegliche politische Vision?
Stefan Bachmann hat «Graf Öderland» – eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2021 – als bildgewaltigen, albtraumartigen Trip inszeniert. Die Figuren purzeln von einer surrealistischen Situation in die nächste, ohne Halt – sie werden zu Spielbällen ihres inneren Erlebens, ihrer radikalen Fantasien und ihrer verdrängten Sehnsüchte.
Eine Koproduktion von Residenztheater und Theater Basel
Thiemo Strutzenberger hat für seine darstellerische Leistung in Stefan Bachmanns Inszenierung «Graf Öderland» den 3sat-Preis erhalten.
Die Jury zur Begründung: «Max Frischs ‚Graf Öderland‘ ist ein irrationaler Amoklauf aus der sozialen Mitte heraus. Ein Staatsanwalt, der Welt und Recht nicht mehr sortieren kann, und ein Mörder ohne Motiv verschmelzen zum Monsterbild von ‚Graf Öderland mit der Axt in der Hand‘. Stefan Bachmann inszeniert den Albtraum der Zivilisation, einen Rausch der Gewalt. Der Schauspieler Thiemo Strutzenberger ist darin ein Hochrisiko-Öderland, für den die Trennlinien von Wachtraum und panischer Klarheit längst durchlässig sind und bei dem Entfremdung, kulturelles Unbehagen, zivilgesellschaftlicher Überdruss in die pure Aggression umschlagen: die traumatische Quintessenz eines Wutbürgers.»
«Freedom’s just another word for nothing left to lose.»
Regisseur Stefan Bachmann im Gespräch mit Dramaturgin Barbara Sommer über «Graf Öderland».
«Der Stoff hat eine größere Offenheit und Komplexität als andere Stücke von Frisch. Das wollte man ihm offensichtlich nicht durchgehen lassen. Ich finde darin aber ein starkes Echo auf unsere aktuelle Gegenwart.» (Stefan Bachmann)
Zum Autor Max Frisch
Der Schweizer Autor und Architekt Max Frisch (1911–1991) gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Sein Werk wurde in siebenundvierzig Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Frisch wurde in Zürich geboren und wuchs dort auf. Nach einem abgebrochenen Germanistikstudium und einer freiberuflichen Tätigkeit als Journalist schloss er 1940 sein Architekturstudium an der ETH Zürich ab. Nach einigen Jahren, in denen er den Architektenberuf parallel zur Schriftstellerei ausübte, verhalf ihm sein Roman «Stiller» (1954) zum Durchbruch, sodass er sich fortan ausschließlich dem Schreiben widmen konnte. Auch als Theaterautor feierte er bleibende Erfolge. Zu seinen wichtigsten Stücken gehören «Biedermann und die Brandstifter» (1958) sowie «Andorra» (1961). Als Kosmopolit, der ebenso in Rom, Berlin und New York zuhause war, bildet die Korrespondenz des Autors, die sich heute im Max-Frisch-Archiv befindet, ein weitgespanntes Beziehungsnetz ab. Gleichzeitig nahm der Citoyen Frisch am politischen Geschehen in seinem Heimatland lebhaften Anteil, indem er mit Reden, Essays und Stellungnahmen die Utopie einer besseren Gesellschaft wachhielt. In seinem Werk setzt sich Frisch mit Themen auseinander, die für das Selbstverständnis der Moderne von grundlegender Bedeutung sind. Neben der Bedingtheit und Formbarkeit der eigenen Identität gehören dazu Fragen nach dem Verhältnis zu Heimat und Tradition, die Grenzen sprachlichen Ausdrucks, das Ringen um einen lebendigen Umgang mit den Mitmenschen und deren Ansprüchen sowie die Herausforderungen und Gefahren, die sich aus der Technisierung der Welt ergeben.