Barbara Westernach
Stücke
Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux kreist in ihrer autobiografischen Erzählung um ein prägendes Ereignis, das ihr als «Mädchen» widerfahren ist. Immer wieder kehrt sie erinnernd zurück in jenen Sommer von 1958, bis sie schließlich das Schweigen bricht. In Silvia Costas poetischer Inszenierung verkörpern drei Schauspielerinnen berührend das suchende und sich befreiende Ich der Autorin.
Erinnerung eines MädchensNach fünfzehn Jahren im Exil kehrt Orest unerkannt in seine Heimatstadt Argos zurück – in jene Stadt also, in der sein Vater Agamemnon nach dem Sieg über Troja von dessen Frau Klytämnestra und ihrem Geliebten Ägisth ermordet wurde. Doch nicht der Wille nach Vergeltung ist das Motiv seiner spontanen Rückkehr, sondern das Gerücht einer rätselhaften Fliegenplage. Als seine Schwester Elektra ihn zum Bleiben überredet, begreift er allmählich, dass Klytämnestra und Ägisth das Volk nicht nur grausam unterdrücken, sondern ihm auch eine Mitschuld am Mord an Agamemnon aufgebürdet haben. Erst da reift in Orest der Entschluss, zu handeln.
Die FliegenBrechts kurzes Stück kreist um die erschreckend aktuelle Frage, ob es angesichts eines gewaltsamen Angriffs die Möglichkeit neutraler Enthaltung gibt. «Würgendes Blei», der zweite Teil der Inszenierung, schreibt die Geschichte der Frau Carrar bis in die Gegenwart weiter, sucht nach einer Sprache für den Schrecken von Krieg und Zerstörung und erhebt Anklage gegen die Gewalt und ihre Werkzeuge.
Die Gewehre der Frau Carrar / Würgendes BleiIn seinem schon zu Lebzeiten erfolgreichsten Stück verbindet Heinrich von Kleist die Romantik des Märchens mit der Tragik des Schauspiels. Es gibt ein Femegericht, ein brennendes Schloss, einen Cherub, dazu Intrigen und einen Giftanschlag. Doch Kleists Käthchen lässt sich von all dem nicht beirren. Zielstrebig geht sie ihren Weg und weicht dem Grafen Wetter vom Strahl nicht von der Seite, weil er ihr im Traum als die große Liebe offenbart wurde. Kleists Käthchen ist wie sein Alter Ego, eine Kämpferin des Worts und der Poesie, eine Verbündete auf der Suche nach einem Gegenüber, mit dem es sich zu leben lohnt.
Das Käthchen von HeilbronnFür das Talent und die Träume der heranwachsenden Tove ist im Kopenhagener Arbeiterviertel Vesterbro der 1920er-Jahre kein Platz. Mit vierzehn Jahren muss sie die Schule verlassen und gegen ihren Willen als Hausmädchen, später als Bürogehilfin arbeiten. Dennoch gibt sie sich nicht geschlagen, publiziert anfänglich Gedichte und Erzählungen und sucht ihre Befreiung unbeirrt im eigenen Schreiben. Tove Ditlevsen erzählt in der «Kopenhagen-Trilogie» immer entlang der eigenen Biografie von der Flucht aus einem komplizierten Alltag in die Narration und webt dabei Realität und Fiktion raffiniert ineinander. Ihre gleichnamige Ich-Erzählerin berichtet ebenso humorvoll wie lakonisch von Privatem, das nichtsdestotrotz politisch ist.
Die Kopenhagen-Trilogie«Mitläufer» erkundet die Geschichte des Residenztheaters während der NS-Diktatur. In den Blick rücken die ambivalenten Biografien der Intendanten Walleck und Golling und des Dramaturgen Langenbeck. In der Auseinandersetzung mit diesen eröffnen sich Fragen der Verantwortung, Macht, Schuld, Opportunismus – und deren Leugnung nach 1945.
MitläuferRomeo und Julia setzen die Sprache der Liebe gegen den Krieg ihrer Verwandten, die Sprache des Dolchs. Schaffen sie es, ein Beispiel zu setzen gegen die unversöhnliche Feindschaft, die in Verona herrscht? Die Hausregisseurin Elsa-Sophie Jach inszeniert die berühmteste Liebesgeschichte der Welt und den Tanz auf dem Vulkan, der ihre Hauptfiguren mitreißt, mit viel Musik und heißen Herzen neu.
Romeo und JuliaNeun Frauen im Münchner Einzugsgebiet porträtiert Jovana Reisinger in ihrem für den Bayerischen Buchpreis nominierten Roman. In der Bühnenadaption wird dieser Lebensraum zur programmierten Idylle, in der die Figuren komisch und tragisch zugleich ihre Selbstermächtigung proben und nach Lücken und Freiräumen in der gesellschaftlich verordneten Optimierung ihres Rollenbilds suchen.
SpitzenreiterinnenDie Regisseurin Elsa-Sophie Jach erweckt die unerhörte Liebeslyrik von Sappho - ≪Europas erster Dichterin≫- zu neuem Leben. Sie spürt die vergessenen Reste der sapphischen Dichtung auf, verdichtet sie chorisch und deckt auf dem Weg durch den literarischen Kanon – gemeinsam mit der Münchner Techno-Liveband SLATEC – die systematische Auslöschung der weiblichen Stimme, ihr Verstummen und die Notwendigkeit ihrer Selbstermächtigung auf.
Die Unerhörten«Die Leiden des jungen Werther» geriet 1774 zur literarischen Sensation. Elsa-Sophie Jach adaptiert den erstaunlich modernen, flirrenden Briefroman Goethes über Werthers unerfüllte Liebe zu Lotte für die Bühne und erweitert ihn um die hochpoetische Dichtung seiner Zeitgenossin Karoline von Günderode.
WertherGustl Gillich, Tabakwarenhändler und lokaler Schwimmstar, verliebt sich in Frieda Geier, Vertreterin für Mehl. Als er jedoch in der Liebe ein Geschäftsmodell und in Frieda eine Billigarbeitskraft entdeckt, wird er von ihr verlassen und findet Trost in Frauenhass und Männerbündelei. Elfriede Jelinek bezeichnete Fleißer, deren einzigen Roman Elsa-Sophie Jach für die Bühne bearbeitet, als die «größte Dramatikerin des 20. Jahrhunderts».
Eine Zierde für den Verein