Brachiale Poesie

Regisseurin Elsa-Sophie Jach über die besondere Sprache Marieluise Fleißers und «Eine Zierde für den Verein. Vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen»

Die Ausgangslage des Romans – boy meets girl – ist so simpel wie alt. Frieda Geier, eine durch die Provinz reisende Vertreterin für Mehl und als solche Einzelkämpferin in einer Männerdomäne und Gustl Gilich, Tabakwarenhändler und lokaler Schwimmstar, verlieben sich ineinander. Doch schon bald entdeckt Gustl in der Liebe ein Geschäftsmodell und in Frieda eine Billigarbeitskraft. Als er für die Konsolidierung seines Tabakladens auch noch auf ihre Ersparnisse spekuliert, die Frieda in die Schulausbildung ihrer Schwester investiert, wird er von ihr verlassen. Zu unterschiedlich sind deren Vorstellungen von männlicher Bevormundung und weiblicher Unabhängigkeit, von Geschlechterrollen und Beziehungspraktiken. Frieda stürzt sich in die Arbeit, Gustl findet Trost in Misogynie und Männerbündelei.

In der Darstellung des ungleichen Paares nahm Marieluise Fleißer autobiografische Anleihe an ihrer Ehe mit dem Tabakwarengroßhändler und Sportschwimmer Josef Haindl, die für sie ein zwei Jahrzehnte dauerndes Martyrium bedeutete. In der Narration räumt die Autorin ihrem literarischen Alter Ego allerdings ein Ausmaß an Freiheit ein, das sie sich in der Realität verwehrte. Marieluise Fleißer schreibt immer auch unter Einsatz der eigenen Biografie, die sie zur Kenntlichkeit entstellt. 1930 schreibt sie ihren einzigen Roman, «Die Mehlreisende Frieda Geier», der 1931 im Kiepenheuer Verlag erscheint und von den Nationalsozialisten auf die Liste des sogenannten «schändlichen und unerwünschten Schrifttums» gesetzt wird. In den 1960er-Jahren unterzieht sie ihren Roman einer Revision und veröffentlicht ihn, inhaltlich und sprachlich präzisiert, 1972 unter dem neuen Titel «Eine Zierde für den Verein. Roman vom Rauchen, Sporteln, Lieben und Verkaufen».
 

Marieluise Fleißer wurde in den 1920er-Jahren von Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht gefördert und erlebte Ende der 1960er-Jahre durch Rainer Werner Fassbinder, Franz Xaver Kroetz und Martin Speer eine Renaissance. Was ist das Außergewöhnliche an dieser Autorin?
In «Eine Zierde für den Verein» hat Marieluise Fleißer ihre eigenen Erfahrungen literarisch verarbeitet und einen feindseligen Figurenkosmos vor dem Hintergrund der zerfallenden Weimarer Republik geschaffen. Den Zustand der wirtschaftlichen Instabilität gepaart mit einer großen Unzufriedenheit, die populistischen und rechtsextremen Ideologien Raum gibt, erkennen wir heute wieder. Fleißer zeigt eine immense Hellsichtigkeit, indem sie sehr moderne Themen verbindet: wie Ökonomie inLiebesverhältnissen funktioniert, was die Erfahrung politischer Gewalt mit Körpern, mit Sprache und mit Beziehungen macht. Ihr gelingt das in einer ganz großartigen Poesie, die ich als «brachial» beschreiben würde. Die Sprache hat dabei ein Eigenleben, ist immer ein bisschen schlauer als die Figuren selbst. In ihr offenbaren sie ungewollt ihr Inneres und ihre Gefährlichkeit. Das erzeugt eine große Spannung.

 

Marieluise Fleißers Sprache, die ihren Ursprung im bayerischen Idiom findet, ist hart und karg, ihre Syntax durchaus eigenwillig. Wie spricht (man) Fleißer?
Für mich ist das Grundthema des Romans, wie sich Gewalt in einer Gesellschaft ausbreitet, ganz stark in der Sprache angelegt. Einer Sprache, die zwar poetisch und schön ist, aber etwas sehr Wuchtiges hat. Unabhängig davon, ob die Figuren über Ökonomie reden, über den Tabakwarenladen oder über die Liebe, sie sprechen immer in Metaphern von Krieg. Gerade in der Macht der Sprache sehe ich die Aktualität des Romans. Auch heute wird versucht durch Diskursverschiebungen neue Realitäten zu schaffen. Immer wieder werden die Grenzen des Sagbaren überschritten und verschoben. Fleißer hat betont, dass Ingolstadt als beispielhafter Schauplatz zu verstehen ist. Ich halte auch ihre Sprache letzten Endes für eine Kunstsprache, die natürlich stark vom Bayerischen geprägt ist, sich aber schwerlich nurdialektal behandeln lässt. In den Proben hat es uns deshalb geholfen, einen eigenen Gestus zu (er-)finden: als würden die Worte quer im Mund stehen. Zudem spielt die Leerstelle in der Sprache, das beredte Schweigen, eine große Rolle.

 

Elfriede Jelinek bezeichnete die «Fleißerin» als bedeutendste Dramatikerin des zwanzigsten Jahrhunderts. «Eine Zierde für den Verein» ist der einzige Roman der Ingolstädterin. Was hat dich dazu bewogen, ihn für die Bühne zu bearbeiten? Und was macht den biografisch grundierten Roman von 1930 auch heute noch so aktuell?
Der Roman lässt sich als ein Generationenporträt verstehen. Fleißer beschreibt eine Gesellschaft, in der durch wirtschaftliche Instabilität und eine immer unsicherere Zukunft alle ums Überleben kämpfen, aber Gewalt auch zum Selbstzweck, das Niederdrücken der anderen zum Mittel der eigenen Selbstermächtigung wird. Gespeist wird das von den rechten und patriarchalen Ideologien der Zeit. Ausgerechnet eine Frau, Frieda, versucht als Alter Ego der Autorin dagegen aufzubegehren und wird wie Fleißer selbst als Außenseiterin aus der Stadt gedrängt. Sie zeichnet ein politisches Bild der Zeit vor 1933, doch durch das Aufzeigen der Strukturen wird dies auch überzeitlich. Wie kommt die Gewalt von der Ideologie in die Sprache, von der Sprache in den Körper, vom Körper in die Beziehung und von der Beziehung wieder in die Gesellschaft? Dabei stehen weniger die individuellen Einzeltäter im Fokus, obwohl fast all diese Personen extrem gewaltbereit und gefährlich sind oder etwas Zerstörerisches in sich tragen, vielmehr stellt Fleißer eine strukturelle Betrachtung an. Die Liebesgeschichte zwischen Frieda und Gustl ist ein Beispiel, das zeigt, wie die sich ausbreitenden männlichen Besitzansprüche eine Beziehung zerstören, fast zum Femizid führen. Aber auch alle anderen Verbindungen sind davon geprägt. Fleißer stellt schlaglichthaft einen Kosmos zahlreicher Figuren vor, in dem man wie in einem Thriller erst nach und nach begreift, wie die einzelnen Geschichten zusammenhängen. Denn wie Fleißer schreibt, wirkt jeder einzelne Mensch auf seine Art ganz aktiv an der Gestaltung desjenigen Musters mit, das wir Zukunft nennen.

 

Was macht «Eine Zierde für den Verein» für dich speziell bühnentauglich? Und nach welchen Kriterien hast du den Roman bearbeitet?
Ich gehe immer von dem spezifischen Material aus, unabhängig von der Form. Ich muss mich in einen Text auf irgendeine Art verlieben. Bei dem Roman von Marieluise Fleißer hat gleich jeder zweite oder dritte Satz etwas in mir ausgelöst. Das ist für mich der erste Schritt. Wenn ich eine eigene Dramatisierung mache, habe ich bei einer Adaption im zweiten Schritt natürlich die Freiheit, noch stärker auf eine bestimmte Deutung hinzuarbeiten: Aus welcher Perspektive erzählt man, was lässt man aus, was bringt man mit rein? Ich finde es zudem immer spannend, mich mit einer Autor:innen-Figur auseinanderzusetzen, deshalb war es für mich in der Beschäftigung mit dem Stoff auch reizvoll, nachzuforschen, was in «Eine Zierde für den Verein» Fleißers eigene Erfahrungen sind, was dazukommt, was erdacht ist. Für einen Roman muss man aber - anders als bei einem Stück - eine Setzung finden, wie mit dem Erzähltext umgegangen werden kann: Fleißers Figuren sind einerseits wortkarg, andererseits sprechen sie oft und viel in der dritten Person von sich, nehmen eine Außenperspektive ein. Es ist wichtig herauszufinden, wie man diese Differenz spielerisch fruchtbar bekommt.

 

Der Kosmos, den du mit deiner Bühnen- und Kostümbildnerin Aleksandra Pavlović entworfen hast, ist künstlich und gegenwärtig. Wieso habt ihr euch für ein solches popkulturelles Universum entschieden?
Der Roman ist ganz klar in einer bestimmten Zeit verortet, das hört man auch an der Sprache. Wir fanden es aber wichtig, ihn ins Heute zu holen, um eben genau diese bereits im Text angelegte Doppelung von bestimmten Entwicklungen sichtbar zu machen. Auch das Thema rund um Sport und die Disziplinierung des Körpers hat etwas ganz Heutiges. Was damals sportlicher Drill war, lässt sich heute im Zwang zur Selbstoptimierung wiederfinden. Der ästhetischen Setzung ging eine Recherche über die Architektur von Turnhallen voran, beginnend in den 1930er-Jahren. Die Bühne selber funktioniert wie ein riesiges Sportgerät, weil sie überall gepolstert ist. Sie fordert Bewegung, ist Manege der Fleißer‘schen Figuren, die sich gegenseitig umkreisen, belauern und attackieren. Immer wieder taucht auch in den Kostümen die Farbkombination rot und blau auf, die Farben unserer Bühne. Die Künstlichkeit und Überhöhung sowie die intensiven Farbkontraste holen das Stück aus der Verstaubtheit der 1930er in unser Jetzt. Denn Faschisten von heute organisieren sich in Sportgruppen, nutzen soziale Netzwerke, poppige Ästhetiken und tarnen sich in hipper Kleidung. Gerade das ist so gefährlich.


Die Fragen stellte Dramaturgin Constanze Kargl.