QUERVERBINDUNGEN

Während der Proben sprachen Regisseur Thom Luz und Dramaturgin Katrin Michaels mit Martina Wörgötter, der Leiterin des Stefan Zweig Zentrums der Paris Lodron Universität Salzburg, und Werner Michler, Professor für Neuere deutsche Literatur an der Paris Lodron Universität Salzburg, Mitherausgeber der Salzburger Ausgabe des erzählerischen Werks von Stefan Zweig im Zsolnay Verlag und Beirat des Stefan Zweig Zentrums. Gemeinsam haben die beiden den Band «Sternstunden der Menschheit» (Zsolnay, 2017) herausgegeben, die erste kritische Ausgabe des Textes.
 

Katrin Michaels: Was sind die «Sternstunden der Menschheit» für ein Buch? Eigentlich sind es ja mehrere Bücher, da Zweig sie im Laufe der Jahre erweitert und ergänzt hat.

Martina Wörgötter: Es gibt die erste Ausgabe von 1927, da beschließt Zweig erstmals, ein Buch mit dem Titel «Sternstunden der Menschheit» zu machen, in dem er bis dahin verstreut erschienene Texte zusammenfasst. Das sind zu diesem Zeitpunkt fünf. Dieses Buch entsteht während seiner Zeit in Salzburg (1919—1934). Das sind genau die Jahre, in denen er weltberühmt wird, vor allem mit den Novellen, die Anfang und Mitte der 1920er-Jahre in zwei Bänden erscheinen, aber auch mit den biografischen Arbeiten. Die «Sternstunden» sind zunächst ein Nebenprodukt in Zweigs Karriere und ihr riesiger Erfolg ist sowohl für ihn selbst als auch für seinen Verleger im Insel Verlag, Anton Kippenberg, eine Überraschung. Ausgehend von dieser ersten Ausgabe gibt es 1936 eine Erweiterung im Wiener Herbert-Reichner-Verlag, zu dem Zweig nach der Trennung von Insel wechseln konnte. Für diese Ausgabe kommen zwei «Sternstunden» dazu. Inwieweit Zweig selbst an den Zusammenstellungen der verschiedenen Ausgaben mitgearbeitet hatte, inwieweit er Mitsprache hatte, was zum Beispiel die Reihenfolge betrifft, ist heute schwer zu rekonstruieren. 1943, postum, gibt es eine weitere Ausgabe im Exilverlag Bermann-Fischer (Stockholm), wo Zweigs Bücher ab 1939 erscheinen konnten. Dafür wird das Ensemble noch einmal um fünf Texte erweitert. Dass wir heute 14 «Sternstunden» haben und nicht zwölf, hat damit zu tun, dass die Texte über Cicero und Wilson, die zu Lebzeiten nur in der englischen Ausgabe «The Tide of Fortune» (1940) erschienen sind, integriert werden. Gerade diese beiden Texte sind besonders interessant, insofern als sie im Exil geschrieben wurden. Die «Sternstunde» über Cicero beispielsweise ist ein ganz wichtiger Text, in dem es eine biografische Nähe zu Zweig und sehr viele Querverbindungen zu anderen Werken gibt.

Thom Luz: Solche Parallelen entdecken wir gerade viele. Manchmal geht es sich zeitlich aus, dass Zweigs eigenes Erleben in einen später entstandenen Text eingeflossen sein könnte, manchmal ist es umgekehrt und der Text nimmt etwas vorweg, was in seiner Biografie später tatsächlich eintritt. Im besagten «Cicero» gibt es einen Moment, wo Cicero vor politischen Unruhen in Rom auf seinen Landsitz flüchtet und die Stadt mit ihren politischen Verstrickungen aus der Ferne beobachtet. In der «Welt von Gestern» gibt es dann die Entsprechung dazu, wo Zweig aufgrund der politischen Situation in die Schweiz reist und von Rüschlikon aus Zürich beobachtet, wo grad ebenfalls viele politische Stränge unterschiedlichster Natur zusammenlaufen … ein einsamer melancholischer Mensch beobachtet aus der sicheren Entfernung den Lauf der Dinge, von denen sich fernzuhalten aber immer schwieriger wird. Ich frage mich, wie bewusst Zweig diese Übertragungen seines eigenen Lebens in die Weltgeschichte gesetzt hat.

Werner Michler: Wird das ein szenischer Abend?

Thom Luz: Ja. Wir haben einen Raum gesucht, der Zweigs Sammlung von historischen Miniaturen entspricht, und sind dann sehr schnell beim Museum respektive beim Lager, beim Archiv gelandet, wo historische Artefakte gelagert werden. Verschiedene Teile von Statuen, Kanonen, Überbleibsel der Geschichte stapeln sich übereinander, das Pferd von Napoleon steht neben dem Schreibtisch von Goethe, oder das atlantische Tiefseekabel liegt neben der gestürzten Statue von Balboa. Es ist auch ein Endlager, wo Dinge hingebracht werden, mit denen man gerade nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll. Und dann kommen Menschen von heute, die in diesem Endlager der Geschichte zu wühlen beginnen. Sie versuchen, diese Reste der Geschichte zu neuen Gebilden aufzutürmen — Ruinen von gestern, zu wackligen neuen Zukunftskonstruktionen aufgeschichtet, auf unsicherem Grund. Die Objekte beginnen auch zu sprechen und ihre Geschichten zu erzählen. Es wird also nicht ein Abend, an dem man Szenen aus den «Sternstunden» eins zu eins nachspielt, sondern ein Abend, der einen neuen Blickwinkel auf Zweigs Texte ermöglicht.

Katrin Michaels: Und damit auch auf die Geschichte selbst, die wir traditionell oft als linearen Verlauf erzählen. Wir möchten diesen Konstruktionsprozess zeigen und auch, wie subjektiv er ist.

Thom Luz: Genau. Mich interessiert einerseits Zweigs besonderer Blick auf unsere Weltgeschichte als eine vom Zufall orchestrierte Folge von kleinen menschlichen Momenten, die dann große Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Welt haben, positive oder katastrophale. Es geht um misslungene Kommunikation, ums Scheitern, ums Chaos, um Unberechenbarkeiten. Und die oben genannten Korrelationen mit Zweigs Biografie, der seinen Weg auch durch einen großen Umsturz navigieren musste, spiegeln unsere Welt: sich einen Weg zu suchen durch ein Dickicht der täglichen Überrumpelungen, von denen man weiß, dass sie den Gang der Weltgeschichte prägen werden, die man aber noch nicht einschätzen kann, weil man sich mittendrin befindet. Der Zugang zum Text ist dabei ein sehr musikalischer. Es geht da ähnlich wie in Zweigs Beschreibung des Flusses der Geschichte viel um Überlagerungen und Gleichzeitigkeiten. So sind manchmal mehrere Texte im selben Moment zu hören, bevor eine Erzählung die Überhand gewinnt. Dann wird es auch viel brasilianische Volksmusik geben — die Musik aus Zweigs Exil, die für das Ende seines Lebensweges steht und die wir jetzt in den Proben Zweigs europäischen Geschichtsminiaturen gegenüberstellen.

Katrin Michaels: In dieser Gegenüberstellung wird auch deutlich, wo die Spiegelung von Zweig in seinen Sternstunden nicht mehr funktioniert: Im Exil ändert sich seine Sicht auf Europa radikal — was ihm vorher der Inbegriff der Welt war, sieht er nun in Trümmern, wie er in seinem Abschiedsbrief schreibt. Auch wenn er in den Sternstunden durchaus nicht nur Glanzleistungen beschreibt, sieht er in der europäischen Kultur doch die Grundfesten der Welt.

 

Das komplette Gespräch finden Sie im Programmheft der Produktion.


Das Programmheft zu «Sternstunden der Menschheit» ist erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder als gekürzte Onlineversion zum Download hier.