KÄTHCHEN = KLEIST?
EIN GESPRÄCH MIT ELSA-SOPHIE JACH
Du hast dich in deiner Inszenierung des «Käthchen von Heilbronn» für die Setzung entschieden, Heinrich von Kleist auftreten und in der Rolle des Autors das Käthchen spielen zu lassen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Weil für mich ganz viel von Kleist selbst in seiner Käthchen-Figur steckt. Beide eint zum Beispiel eine starke innere Überzeugung als Antrieb für ihr Tun. So wie sich Käthchen durch diese brutal-märchenhafte Mittelalterwelt kämpfen muss, sah sich Kleist seinerseits mit einer Welt konfrontiert, die ihm sehr viele Hindernisse in den Weg legte, ehe er sein Ziel, Schriftsteller zu sein, erreichte. Seine Familie und sein Umfeld drängten ihn, eine Stelle in der preußischen Verwaltung anzunehmen oder wenigstens eine Karriere beim Militär anzustreben. Das kollidierte aber mit seiner inneren Berufung, unbedingt zu schreiben. Im «Käthchen» dreht sich schließlich alles um die Frage, ob eine innere Prophezeiung am Ende auch in der Realität bestehen kann und ob es dafür einen Partner braucht - im Lieben, im Leben oder wie bei Kleist im Sterben.
Du hast für deine Inszenierung sehr viel zur Person Kleist recherchiert, wobei der Roman «Kein Ort. Nirgends» von Christa Wolf eine ganz besondere Rolle spielt. Allerdings ist dieser ja eher eine biografische Erfindung über Kleist.
Ja, in diesem Roman imaginiert Christa Wolf eine fiktive Begegnung zwischen Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode. Der Roman zusammen mit den Briefen von Kleist und dazu auch Texten der Günderrode bringen eine zusätzliche biografische Ebene in unsere Textfassung vom «Käthchen», in dem Sinne: Ist der «Käthchen»-Kosmos ein Prisma für Kleists Leben und andersherum?
Das heißt, dass es in deiner Inszenierung eine zusätzliche Handlungsebene neben dem «Käthchen» gibt, die teils aus dem Roman von Christa Wolf, teils aber auch aus biografischen Material über Kleist besteht und in deren Zentrum du die beiden Dichter*innen Kleist und Karoline von Günderrode stellst. Welche Rolle spielt sie in deinem Abend?
Christa Wolf hat eine sehr kluge und poetische Version von Kleist in «Kein Ort. Nirgends» entworfen, in dem sie aber auch seine Rolle als Künstler und das mit ihm verbundene männliche Geniebild in der Person der Günderrode kritisch beleuchtet. Das ist auch ein wichtiges Thema in unserem Abend. Auch wenn die Begegnung rein fiktiv ist, hätte sie genau die Seelenverwandte sein können, die Kleist sein Leben lang gesucht hat und die ihn als Autor hinterfragt und weitergetrieben hätte. Ihren Gegenentwurf finde ich sehr spannend und zusammen mit Christa Wolf kommen so zwei unglaublich starke, poetische, weibliche Stimmen mit Kleist ins Gespräch – mein Traumgespräch! Christa Wolf lässt Kleist sein Werk als Skizze beschreiben, als einen Entwurf, der offenbleibt und weitergedacht werden soll, das versuchen wir auf die gleiche Weise.
Kleist spiegelst du in der Figur des Käthchens. Gibt es für die Günderrode auch eine Spiegelfigur im Stück?
Es gibt im Stück das Bild des Cherubims, bei dem ich mich immer gefragt habe, was das für uns sein könnte. Und ich dachte, das könnte eine Art von Möglichkeitsraum sein, aber auf einer anderen Ebene. Ein Raum, in dem dieser Austausch zwischen Kleist und Günderrode stattfinden könnte. Es geht nicht darum, zu behaupten, sie sei ein Engel, sondern dass da jemand ist, dem sich unser Kleist als Käthchen nackter, direkter und zerbrechlicher zeigen kann, als er es im Leben und in seinen Stücken konnte.
Ihre Seelenverwandtschaft hast du ja bereits angesprochen. Siehst du darüber hinaus auch Parallelen im Schreiben und im Leben zwischen den beiden?
Auf jeden Fall. Einmal ist da bei beiden das Gefühl, nicht in ihre Zeit zu passen, wobei das in den Texten von Karoline von Günderrode noch viel radikaler zum Ausdruck kommt. Beide überschreiten Grenzen, in dem was ihr Geschlecht ausmacht und was von ihnen erwartet wird, aber genauso auch in ihrem Schreiben. Dieses Grenzgängertum ist außerdem Ausdruck einer Generationenfrage und hat darum auch in meiner «Werther»-Inszenierung eine wichtige Rolle gespielt. Dann eint sie natürlich ihre Todessehnsucht - Christa Wolf nennt sie dagegen eine Lebenssehnsucht -, die bei beiden auch im Selbstmord endet. Aber es gibt bei ihnen zudem das angstvolle Verlangen nach einem Aufreißen der Realität, verknüpft mit der Suche, was unter der gesellschaftlichen Oberfläche liegt oder ob hinter dem Sichtbaren der Abgrund lauert. Und damit ist die Frage verbunden, ob es eine Sinnhaftigkeit von Welt gibt, die allem zugrunde liegt, und die verstanden und sichtbar gemacht werden kann.
Kommen wir noch einmal auf die zweite Handlungsebene zu sprechen. In welchem Verhältnis stehen die Auszüge aus «Kein Ort. Nirgends» zu Kleists Stück?
Christa Wolf hat in ihrem Roman ebenfalls auf biografische Begebenheiten aus Kleists Leben zurückgegriffen, die wir wiederum mit Szenen im «Käthchen» gegenschneiden. Das beginnt mit dem ersten Akt, dem sogenannten Femegericht. Dem steht bei uns eine Szene in einem Teesalon mit Kleist sowie Freund*innen und Kritiker*innen gegenüber. Darin präsentiert Kleist sich und sein «Käthchen» einer Öffentlichkeit. Das hat viel von einer Gerichtssituation, weil er darin sich und sein Werk verteidigen muss. Diese Szene führt dann bei uns nahtlos hinüber in das Femegericht des ersten Aktes. Darin geht es für Käthchen ja auch darum, ob sie sie selbst sein kann und ihrer Bestimmung folgen darf, oder ob sie sich in der Gesellschaft anders verhalten muss.
Oder im dritten Akt gibt es das Feuer im Schloss, das wir mit der Tatsache parallel geschnitten haben, dass Kleist einen Teil seiner Werke verbrannt hat. Und in Käthchens Rivalin, Kunigunde von Thurneck, ist wiederum Kleists kritische Haltung zur damaligen Wissenschaft verkörpert. Es gibt ja bei Kleist die berühmte «Kant-Krise». Nach der Lektüre des Philosophen war es ihm unmöglich geworden, an eine allgemeingültige Wahrheit in der Wissenschaft zu glauben. Und da Kunigunde – heute würde man sagen – wie ein Cyborg gezeichnet ist, ist sie für mich unmittelbare Verkörperung dieser Krise. Sie ist zusätzlich auch Ausdruck von Kleists negativem Frauenbild, weil sie im Stück gerade wegen ihrer Stärke und ihrem Wissen als etwas Grauenerregendes, allzu Künstliches gezeichnet ist. Aber es gibt auch noch einige andere spannende Fragen, die sich im Kontext unserer Setzung stellen: Gibt es einen Partner im Leben oder im Sterben, der einen wirklich verstehen könnte? Was sind die Widerstände, ihn zu finden? Gibt es ein Happy End im Leben wie im Stück? Wie müsste es konstruiert sein, damit die Auflösung gelingt? Und ist man dann glücklich?
Das komplette Interview finden Sie im Programmheft der Produktion.