MARIA/ELISABETH: DIE VERANTWORTUNG TEILEN

 

In der neuen Inszenierung von «Maria Stuart» entscheidet jeden Abend das Los, wer von euch beiden welche der zwei Königinnen spielen wird. Jede von euch hat also beide Rollen erarbeitet. Wie darf man sich das rein praktisch im Probenprozess vorstellen? Wie seid ihr da vorgegangen?

 

Pia Händler: Ich bin chronologisch vorgegangen, also dem Stückablauf folgend. Da Elisabeth und Maria im Stück nur einmal aufeinandertreffen, konnte ich mich den beiden zunächst unabhängig voneinander nähern. In der Szene, in der sie sich schließlich begegnen, habe ich zuerst den Text von Elisabeth gelernt, weil sie ein bisschen weniger redet. Dann konnte ich mir beim Lernen der Maria-Passagen selber die Stichworte von Elisabeth geben – das war ganz witzig. Ab einem gewissen Punkt fand ich es dann aber auch anstrengend, immer beide Figuren im Kopf zu haben. Da muss man sich dann wieder abstumpfen gegen den jeweils anderen Text, damit man noch überrascht sein kann.

 

Lisa Stiegler: Ich hatte da einen etwas anderen Ansatz. Ich habe tatsächlich erst die von Pia angesprochene große Szene zwischen Maria und Elisabeth gelernt, aber nicht erst den Text der einen Figur und dann der anderen, sondern das Zwiegespräch als Ganzes. Ich habe gleich abwechselnd beide Rollen gelernt. Danach habe ich am Anfang des Stücks angefangen und je Szene erst Maria Stuart und dann Elisabeth gelernt. Sodass ich gleich sozusagen mit beiden im Kopf durch das Stück spaziert bin.

 

Pia Händler: Im Probenprozess haben wir dann immer hin- und hergetauscht, auch innerhalb der Szene, das ist schon anspruchsvoll, aber ohne Herausforderungen ist es ja auch schnell langweilig.

 

Lisa Stiegler: Wir haben uns immer gegenseitig zugeschaut, was eine sehr ehrliche, offene Form ist. Das war eine ganz neue Erfahrung: Man probt zwei Tage lang eine Figur und ihre Texte und zwei Tage später sieht man die Kollegin dieselben Texte sprechen und spielen. Am Anfang war das völlig fremd, doch dann fand ich es irgendwann sehr spannend, zu sehen, was Pia aus den Figuren und Texten macht. Pia hat Ideen, auf die ich als Spielerin nie kommen würde, und umgekehrt. Im Idealfall nehmen wir uns beide das Beste raus und bauen aufeinander auf.

 

Pia Händler: Das ständige Wechseln ist gar nicht so einfach, weil man entweder versucht, an die vorherige Probe der Kollegin anzuknüpfen oder selber neue Facetten zu finden. Das ist eine wirklich neue Situation, zwei Figurenstränge gemeinsam zu entwickeln und zu teilen und an dem jeweiligen Abend den anderen Part gar nicht zu spielen.

 

Wie sehr versucht ihr, eure unterschiedlichen Spielweisen in der jeweiligen Rolle anzugleichen?

 

Lisa Stiegler: (lacht) Das muss das Publikum entscheiden, wie unterschiedlich das ist. Wir haben irgendwann gesagt, wir sind sowieso so unterschiedlich – wir machen bestimmte Dinge also einfach auf die gleiche Weise und sie werden wahrscheinlich trotzdem immer wahnsinnig unterschiedlich wirken.

 

Pia Händler: Es hat sich aber als gut herausgestellt, manche Dinge festzulegen, vor allem, weil wir im Spiel ja auch auf weitere Kolleg*innen treffen. Es gibt auch technische Dinge und Verabredungen, an die wir uns beide halten, und es gibt eine gemeinsame äußere Form, in der man dann jedoch variieren kann.

 

Färbt die detaillierte inhaltliche Auseinandersetzung mit beiden Rollen auf das Verständnis für die Verhaltensweisen und Argumentationslinien der doch sehr konträren Königinnen ab?

 

Pia Händler: Selten bekommt man einen so genauen Einblick in die anderen Figuren und auch in die Art, wie andere Kolleg*innen arbeiten und denken. Das hat diese Arbeit für mich sehr interessant gemacht. Der Gedanke von «dein» und «mein» wandelt sich. Es gehört einem nichts ganz und gleichzeitig übernimmt man für das Ganze die Verantwortung.

 

Lisa Stiegler: Ich finde auch, dass man auf jeden Fall viel mehr Verständnis für die jeweils andere Figur entwickelt, dass man auch viel mehr darauf achtet, wie sehr die eine Königin die jeweils andere in ihrem Hinterkopf hat. Es ist, als würden sie sich gegenseitig gedanklich mit sich rumtragen, weil sie auch jeweils wissen, in welcher Position die andere ist. Das ist für mich wirklich der große Gewinn in diesem Prozess, nicht auf eine Rolle oder Figur reduziert zu sein und dadurch auch diesen Kosmos, in dem sich beide befinden, viel mehr zu verstehen und darüber nachzudenken. Wenn die eine Königin in der Situation der anderen wäre, würde sie dann nicht genauso handeln, weil es die Situation gar nicht anders zulässt? Und weiß nicht jeweils auch die eine von der anderen, dass es gar nicht anders ginge? Wenn ich als Maria Stuart in der Position von Elisabeth wäre, müsste ich vielleicht auch ein Todesurteil unterschreiben? Durch den dauernden Rollenwechsel habe ich auch immer für beide Figuren mitgedacht. Ich kämpfe gewissermaßen nicht für diese eine, sondern ich kämpfe für beide gleichzeitig. Das finde ich sehr schön!

 

Pia Händler: Wir konnten gemeinsam über die beiden nachdenken, uns als Schauspielerinnen ergänzen und uns gegenseitig spiegeln, was wir gesehen haben. Manchmal die Verantwortung teilen, für etwas in die Bresche springen. Wenn man mal gerade nicht mehr weiterwusste, hat die andere etwas versucht.

 

Habt ihr Präferenzen für eine der beiden Königinnen bzw. sind eure Sympathien unterschiedlich verteilt?

 

Pia Händler: Ich hatte von Beginn an die Vermutung, dass es sehr wichtig ist, beide Figuren zu mögen, wenn man das Experiment eingehen möchte. Das war mein Motor für die Arbeit. Ich habe mich dann eher in Situationen oder Bilder verliebt. Das große Bild mit den monströsen Armen ist beispielsweise aus einer Improvisation von mir entstanden und wurde dann mit unserer Choreografin Sabina Perry weiterentwickelt. Dieses Bild liebe ich sehr und ich erinnere mich, dass ich zu dem Zeitpunkt gesagt habe: «Ach komm, wir teilen die Rollen auf. Ich habe Lust jeden Abend dieses Bild zu spielen und ich habe Lust, dass meine Spielidee mir gehört.» Ich wollte in dem Moment folglich lieber Elisabeth spielen. Ich habe daraufhin angefangen mehr bei Maria zu suchen und konnte für sie dann andere Momente finden.

 

Lisa Stiegler: Es war schwankend und je nachdem, welche der beiden Frauen ich geprobt habe, dachte ich: «Ach, die sind einfach beide so toll.» Tatsächlich gibt es aber besonders bei Elisabeth Sätze, die mich persönlich tief berühren. Vor einem Publikum zu sagen: «Oh, die ist noch nicht König, die der Welt gefallen muss! Nur die ist’s, die bei ihrem Tun nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.» – und das in einem Theater! Wie bin ich frei, wann bin ich frei? Wie könnte ich mich freimachen, sodass ich frei bin in meinem Tun und Handeln, und das auch als Frau.

 

Wie bereitet man sich darauf vor, dass der Zufall entscheidet, welche der beiden Königinnen man in den einzelnen Vorstellungen spielt?

 

Lisa Stiegler: Ich glaube, ganz offen zu bleiben und auf das zu reagieren, was im Moment passiert, ist das Einzige, was man üben kann. Und zu vertrauen, dass man diesen Kosmos mit sich rumträgt, und je nachdem, was entschieden wird, steigt man in die eine oder die andere ein. Vor dem Premierenmoment habe ich Respekt. Ich glaube, danach wird es Spaß machen, weil das Spiel so beweglich bleibt.

 

Pia Händler: Es ist, als hätten wir zwei Theaterabende erarbeitet, von denen man aber nicht ganz sicher weiß, welchen man am jeweiligen Vorstellungsabend spielen wird. Wenn ich aber an beiden Versionen etwas liebend gerne spiele, dann kann ich mich auf beide freuen.

 

Die Fragen stellte Dramaturgin Constanze Kargl.


Das Programmheft zu «Maria Stuart» ist erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder als gekürzte Onlineversion zum Download hier.