Die Tristesse verzaubern

 

Regisseur und Autor Alexander Eisenach über Rudolph Moshammer und seine Inszenierung des Bavarian Dream.

 

In ihrem berühmten Essay «Notes on Camp» schreibt Susan Sontag 1964, dass die wesentlichen Merkmale des «Camp» einen Hang zum Artifiziellen und zur Übertreibung darstellen. Camp sei ein Gefühl für eine bestimmte Ästhetik, etwas, das mit Kitsch oder Affektiertheit nur unzureichend beschrieben ist. Eine frivole Ernsthaftigkeit, die gleichzeitig gediegen und gehoben daherkommt, im gleichen Moment aber subversiv und spielerisch auf die gesellschaftlichen Normen um sich herum zu reagieren scheint. In ihrem Text nennt Sontag einige Beispiele für Camp. Darunter Lampen von Tiffanys und das Ballett «Schwanensee».

 

Rudolph Moshammer war ohne Zweifel Camp. Oder besser: Seine öffentliche Persona war Camp. Die Hundedame Daisy, seine Rolls Royce, die Ludwig II. Perücke mit der drapierten Haarsträhne. Er taugte als Faszinosum für den bürgerlichen Mainstream, der in den Klatschspalten und im aufkommenden Privatfernsehen der 80er Jahre seinen Paradiesvögeln huldigte, während die eigene Existenz durch arbeitsame Alltäglichkeit gekennzeichnet war. Die Persona Mosi wird zu einem Schaufenster in eine unbekannte Welt. Durch sie rückt die Schwulenbar, die Modebranche, die Münchner Schickeria ein Stück heran an die eigene Sofagarnitur. Bei aller Exaltiertheit erscheint Moshammer immer herzig und volksnah. Er wird nicht abgelehnt und zurückgewiesen von der Öffentlichkeit, wie so viele andere queere, sehnsuchtsvolle oder exzentrische Menschen. Mosi wird zur Ikone, zum Maskottchen, zur (Todesurteil): Kultfigur.

 

Camp sieht die Welt als ästhetisches Phänomen. Dabei geht es weniger um den klassischen Begriff des Schönen als vielmehr um Style. Camp sei ästhetizistisch, schreibt Sonntag. Hier liegt die Perspektive, die Moshammer mit dem Märchenkönig Ludwig II. verbindet, der sich sein Essen in unterirdischen Grotten servieren ließ, vor den Menschen in seine Märchenschlösser flüchtete und versuchte die Welt in der Hinwendung an romantische Ideale zu überwinden. Auch «Des Esseintes» aus J.K. Huysamanns «A rebours» ist ein Verwandter Moshammers. Ein hinfälliger Adliger, der sich ganz aus der Welt zurückzieht und alle Anstrengungen auf die Umformung des eigenen Lebens zum Kunstwerk verwendet. Umgeben von dickem Samt, von Wagners mystischen Schwaden umwölkt. Die Hingabe ans Dionysische, ans Unterirdische, an die Höhle, die Grotte, an das Maskenspiel und den Exzess des Karnevals.

 

Carneval de Venise, so hieß Moshammers Laden, in dem er schwülstige Paisley-Krawatten verkaufte, in dem Münchner Schickeria und Filmstars und Hochadel einkauften. Hier inszeniert er sich als Modezar, als glamouröser Ästhetizist. Die Überformung des Lebens zum Kunstwerk geschieht bei Mosi nicht im Rückzug, sie geschieht inmitten der Schickeria, der Maximilianstraße. Sie sucht ihre Bestätigung im Außen der Medienlandschaft, im Glamour. Doch Mosis Glamour ist ein gebrochener Glamour. Unter dem «campy» Auftritt verbirgt sich der Bürger, der sein Begehren versteckt, der gefangen ist in den Traumata seiner Kindheit. Unfähig den Zusammenbruch der bürgerlichen Existenz des Vaters zu verarbeiten, bindet er sich lebenslang an seine Mutter.  Einsam im Scheinwerferlicht, lebt er seine Sexualität auf dem Straßenstrich aus. Seine Sehnsucht richtet sich nach den Halbwelten, nach dem Anrüchigen und Dunklem, nach dem Gegenentwurf von Schickeria und Grandezza. Hier folgt er seinen romantischen Idealen in die Weltflucht, in die Einsamkeit. 

 

Die Rettung an die Oberfläche, ins Dekor, in den Stil beschützt das Individuum vor dem Zusammenbruch. Die Oberfläche wird stabilisiert durch die öffentliche Aufmerksamkeit. Gleichzeitig wird die Sphäre verzweifelter Sehnsucht nach weltabgewandter Schönheit nachvollziehbar und zugänglich für eine breite Öffentlichkeit. Diesen Mann kann man ernst nehmen. Er findet Eingang in den Kanon zeitgenössischer Persönlichkeiten. Nicht als Randerscheinung, nicht als Künstler, nicht als Geschäftsmann, sondern als Etwas dazwischen. Als eine Existenz zwischen den Welten. Jemand der über dem Graben balanciert und immer droht hineinzufallen. Er fällt schließlich hinein. Er stirbt als Opfer seiner unerfüllbaren Sehnsüchte. Unerfüllbar, weil sie nie zu erwarten waren von der Öffentlichkeit, der er sich als Paradiesvogel präsentierte. Diese Rolle war bloß Schutz, um die eigenen Wunden und Verwundbarkeit zu verbergen.

 

«Camp» sieht alles in Anführungszeichen schreibt Susan Sontag. «Moshammer». Das ist nicht der Mensch Rudolph Moshammer. Being-as-playing-a-Role. Das Leben als Theater. So wollen wir Mosi verstehen. Nicht als Nacherzählung einer vermeintlichen biografischen Realität, sondern als Spiel, das danach trachtet, die Tristesse des Lebens zu überwinden und sei es unter Aufgabe dieses Lebens.


Das Programmheft zu «MOSI - The Bavarian Dream» mit einem Originalbeitrag von Prof. Barbara Vinken ist erhältlich an der Theaterkasse, in den Foyers oder zum Download hier.