DAS MÄRCHEN DARF ALLES SAGEN

Ein Gespräch mit Schorsch Kamerun

 

Was war dein erster Gedanke, als du von Andreas Beck das Angebot bekommen hast, Goethes Gedicht «Reineke Fuchs» zu inszenieren?
Ich kannte die Fabel nicht komplett, wusste aber, dass es sich bei der Geschichte vom Schlaufuchs Reineke um ein großes Gesellschaftsbild handelt. Und ich wusste auch, dass dieses schon «vor-goethig» existierte, dass es also eine alte, europäisch-beispielhafte Schilderung war. Und natürlich weiß ich, dass unser gewiefter, husarenhafter Streuner für alles Mögliche herhalten muss, in der Werbung zum Beispiel: Wenn du in einen bestimmten Baumarkt, Elektrohandel oder Autohauspalast gehst, dann bist du auch ein Schlaufuchs mit dem richtigen Riecher. Solch trickreiche Gewandtheit, die einnehmende Art, das immer auf den eigenen Vorteil Schielen und damit immer super gut durchkommen – das ist natürlich aufregend exemplarisch und ja tatsächlich auch das Grundmotiv vom legendären Reineke. Was ich nicht wusste ist, in welchem ausbalanciertem Verhältnis er zu all den anderen Mitspielenden steht. Das wiederum hat sich in der Arbeit als sehr verführerisch herausgestellt. Es ist ein Daseins-Epos, das viel abdeckt und dabei auch sehr heutig rüberkommt.

Worin genau liegt das Heutige für dich in dieser Fabel?
Ich glaube, der Fuchs benutzt Strategien, die – leider – sehr aktuell sind. Er streut bewusst Unwahrheiten, Fake News von Fox News sozusagen. Und da ist dieser furchtbar antidemokratische Löwen-Herrscher, ein Autokrat, dem wir zunehmend wieder begegnen, nach dem sich ein Teil der Gesellschaft auch wieder zu sehnen scheint, weil ihr durch ihn eine geordnetere Welt versprochen wird. Der Fuchs steht eigentlich für ein gewolltes Chaos, er benutzt dieses, um das System zu beschäftigen und es pur egoistisch zu erhalten. Dieser Methoden bedienen sich genauso heutige Herrscher*innen und Populist*innen.

Wie gehst du mit der gebundenen Sprache von Goethe um?
Goethes Sprache muss man wirken lassen. Sie hat natürlich eine bestimmte «Bildungsaufladung», mit einem Klischee von Konservativismus. Aber das ist sie hier nicht. Und das ist ein Glück, weil wir ja auch in einer Märchenwelt sind. Ich empfinde den Text als sehr musikalisch. Wir haben uns einige bestehende angeschaut, aber dann gedacht, dass wir das auch selbst können, weil das eine musikalische Abbildung ist, und man braucht nur zu kürzen. Ich bin der Meinung, dass wir jetzt mit unserem ganzen Ensemble in einem überhaupt nicht selbstverständlichen, sehr kollektiven Prozess, zu einer coolen und wirklich besonderen Version gekommen sind.

Die Sprache muss ja auch gut im Mund liegen und dann gut beim Publikum ankommen. Goethe hat es schließlich nicht für die Bühne geschrieben, sondern zur Lektüre.
Das stimmt schon, es ist ganz schön ausgefuchst. Beim Kürzen und Straffen merkt man das auch. All die ganzen kleinen Begebenheiten, all die Figuren, die Sidekicks, die aber auch wichtig sind – all das gut zu verknappen ist gar nicht so einfach. Zusätzlich gräbt der Fuchs in der Vergangenheit, geht tief in familiäre Erzählungen zurück, um den König so zu verunsichern. Und dann spielt die Fabel vor großgeschichtlichem Hintergrund, wo es um das Durchspielen von einer kommenden Macht des Volkes geht. Wenn man da etwas lässig weglässt, merkt man schnell, wie präzise, ausgewogen und klug die Motive geschrieben sind. Da kommt dann der Goethe in seiner beeindruckenden Genauigkeit durch.

Dass Goethe sich überhaupt des Stoffs angenommen hat, lag ja auch an dem konkreten historischen Kontext.
Genau. Goethe führt ja auch den König, den Adel, von dem er auch abhängig ist, genüsslich vor, versetzt das Ganze aber in eine Tiermärchenwelt, was sehr klug ist, weil er so alles sagen darf. Das erinnert auch an Shakespeare-Stücke wie den «Sommernachtstraum», welcher in Wald- und Feenwelten übersiedelt, um dort dann eigentlich Unaussprechliches zu verhandeln.

Goethe wollte aber gleichzeitig auch unterhalten. Du nennst euren Abend «Ein schwindelerregendes Theatermusical». Wie gehst du da vor?
Ich komme ja von der Musik und mache auch viele Hörspiele und deshalb ist es mir sehr wichtig, wie Sprache klingt, wie Stimmen klingen. Welche Stimmungen das Ganze hat, wie Haltungen sind. Ich setze immer sehr auf Audio. Aber hier macht es auch viel Spaß mit «echten» Figuren zu arbeiten, gemeinsam ein angriffslustiges, buntes Schauspiel zu basteln. Und wir machen ganz viel Musik, die an New-Wave-artige Melancholie erinnern könnte und dennoch hoffentlich laut genug ist, um die fetzigen Tiere gut zu vertreten.

Und natürlich auch auf Tanz. Es gibt bei euch die erfundene Figur des Firefoxes – was ist die Idee dahinter?
Der Firefox ist der Handlanger des Fuchses. Er führt als schwer greifbarer Schattenkrieger dessen Unverschämtheiten mit aus. Wir haben ihn eingesetzt, damit der Fuchs sich nicht selbst die Finger, die Pfoten, schmutzig machen muss. Er wird durch eine Tänzerin verkörpert, sie steuert auch die Musik, ist «der Maschinenraum des Fuchses». Unser Firefox ist nicht-figürlich, er gibt Stimmungen vor, Vernebelungen, Irritationen. Er ist eher ein Medium und gehört eindeutig in die Sphäre des faulen Zaubers.

Die anderen Figuren sind ja durchaus genaue Porträts aus Goethes Zeit, aber es finden sich auch Entsprechungen in unserer Zeit. Das gilt natürlich vor allem für den Fuchs. Er entgeht jeder Bestrafung, zieht mehrfach seinen Kopf aus der Schlinge und steigt sogar am Schluss zum Kanzler des Landes auf. Wie würdest du das Ende beschreiben – ist das sehr pessimistisch? Denkt man dann nicht wirklich an Trump, der ständig angeklagt wird, aber dann doch wieder aus dem Gericht spaziert, um dann sofort wieder andere Menschen zu attackieren?
Trump hat man in seiner frühen Sozialisation beigebracht: Gib niemals zu, dass du Unrecht hast. Das scheint eine wirklich durchschlagende Methode zu sein. Das mögen aber auch große Wählermengen, weil sie sich darin eine Unverwundbarkeit versprechen, dass jemand anscheinend gar nicht wackeln kann, völlig egal, wie er sich dabei verhält. Das ist eine sehr heutige Sehnsucht in für manche zutiefst überkomplexen Zeiten: Ich selbst bekomme für meine Fehler immer eins übergebraten, aber der Politiker, der darf nicht verunsichern, niemals schwanken, auch wenn er nachweisbar danebenliegt. Wenn ich zum Beispiel der Meinung wäre, «der Habeck» hätte recht, in dem was er sagt und macht, erlebe ich ja mit, dass er trotzdem in Ungnade fällt, weil er sich leistet, auch mal umzukehren.

Die anderen Tiere sind aber auch eine Enttäuschung, oder?
Der Dachs gehört in den Fuchsbau, Dachse und Füchse können im selben Bau leben, das haben wir gelernt. Er ist für den Fuchs so eine Art Spindoctor, er probiert, seine diplomatische Vertretung zu sein. Er hilft ihm und vermittelt, dabei ist er natürlich auch absolut unehrlich. So könnten wir das jetzt für jedes Tier durchgehen. Eigentlich helfen sie – trotz heftiger Anklage – dem König in seinem korrupten System. Und die, die dann am geradesten sind, bekommen am meisten auf den Deckel. Und dann ist ja noch interessant zu sehen, wie die einzelnen Kräfte verteilt sind, es gibt die physische Kraft und es gibt die eher empathische Kraft, trotzdem spielen sie am Ende auch dem rücksichtslosen Fuchs alle nur zu. Und sie bedienen sein Motto: «Gebt mir das eure und lasst mir das meine.» Ohne dieses offensichtlich Schändliche, ohne diesen fiesen Thrill, würde das ganze Gefüge nicht funktionieren. Deswegen hält eben auch der König sein Fähnlein immer nur in den nächsten Wind.